Kurzgeschichten: Korrekturbehandlung


Korrekturbehandlung -


1

In einer nicht allzu fernen Zukunft …

Ea presste sich atemlos an die schmutzige Betonwand und spähte über die Mülltonne die dunkle Gasse hinunter. Hatte sie die drei Kerle abgehängt? Der Sender hatte ihr angeboten, sie von einer Limousine nach Hause bringen zu lassen. Warum hatte sie das Angebot abgelehnt. Warum nur?

In der Dunkelheit konnte sie keine Bewegung erkennen. Glück gehabt.

Sie atmete tief durch und schlüpfte hinter der Mülltonne hervor. Es waren bloß noch drei Blocks bis nach Hause. Und wenn sie erst einmal die dunkle Gasse hinter sich gelassen hatte, dann kam sie ohnehin wieder auf eine belebtere Straße.

„Wohin so eilig?“

Vom Blitz getroffen fuhr sie herum.

Verdammter Mist, da waren sie wieder. Die drei Kerle. Jeder von ihnen groß und kräftig gebaut. Wohl aus der Blutlinie der Krieger. Unverwechselbar. Jetzt standen sie breitbeinig vor ihr und versperrten ihr den Weg. Ea kannte keinen der Männer, aber umgekehrt wussten die drei ganz genau, wen sie vor sich hatten.

„Ist ein hübsches Plätzchen, dass du dir hier ausgesucht hast, Easis“, grinste der Blonde. „Optimal, um deinen Worten Taten folgen zu lassen und ein wenig Spaß zu haben.“

Mit überheblichem Grinsen kam er näher und streckte seine Hand nach ihr aus. Ea wich sofort einen Schritt zurück. Einen zweiten. Einen dritten. Bis sie wieder mit dem Rücken zur Mauer stand.

„Hab dich nicht so, Prinzessin“, säuselte der dunkelhaarige Kerl. „Du hast doch selbst im Fernsehen gesagt, wie wenig du von unserer heiligen Paarungsordnung hältst. Wozu dich also für einen einzigen Partner aufsparen?“

„Da kannst du auch ebenso gut drei Kerle glücklich machen, nicht wahr?“ Der Blonde.

„Vielleicht ist es ja genau das, was du willst.“ Der dritte Typ. Er sah genauso brutal aus, wie er groß war.

Die drei lachten spöttisch und umzingelten Ea. Flink schlug sie eine Hand zur Seite, die sich in ihre langen blonden Haare verirrt hatte, und drehte ihr Gesicht weg, um dem heißen Atem eines anderen auszuweichen.

„Verschwindet!“, zischte sie böse, als jemand nach ihrem Rock griff.

„Hört auf!“, als einer ihre Brüste betatschte.

„Zick nicht so rum! Genieß das hier lieber!“ Der Schwarzhaarige.

Die Hände wurden fordernder, die Kerle zudringlicher. Plötzlich konnte Ea die fremden Finger überall auf ihrem Körper fühlen. Auf den Schultern, im Nacken, an Armen und Beinen. In ihrem Ausschnitt und unter dem Rock.

Sie stieß einen Schrei aus, krächzte um Hilfe. Doch als Antwort erntete sie nur Hohn.

„Niemand hilft dir“, lachte der Blonde. „Eine, die die Regeln unserer Gesellschaft verachtet, hat keine Hilfe verdient.“

Seine Zunge berührte ihre Wange und seine Hand tätschelte ihren Po. Ea hielt den Atem an, presste die Zähne zusammen. Und spürte eine unsägliche Wut in sich aufsteigen. Einen Zorn, der sie die Hände zu Fäusten ballen ließ und jeden Muskel in ihrem Körper zur Tat rief.

Sie konnte ganz genau fühlen, wie sich die kräftigen Finger ihres Peinigers in ihr Fleisch bohrten. Wie sich die Hand langsam von hinten zwischen ihre Beine schob und sie an ihrer intimsten Stelle berührte. Ea sah rot. Sie dachte nicht mehr darüber nach, ob sie die Kerle noch mehr gegen sich aufbringen würde, oder wie diese Situation für sie ausgehen könnte. Sie folgte einfach nur ihrem Instinkt und schlug zu. Mitten ins Gesicht dieses Kerls.

„Dreckschlampe!!!“

„Jetzt bist du fällig Prinzessin!“

„Verdammte Abweichlerin!“

„Wir machen dich fertig!“ Der, den sie geschlagen hatte.

Fäuste flogen durch die Luft, und der Zorn der Kerle war so gewaltig, dass Ea ahnte, was gleich kommen würde. Man konnte das Testosteron förmlich riechen, das vor lauter Wut und Erregung freigesetzt wurde. Eigentlich hätte sie zittern müssen. Um ihr Leben bangen. Doch Ea spürte keinerlei Angst. Überhaupt spürte sie nichts mehr. Ihr Instinkt hatte ihren gesamten Körper unter Kontrolle gebracht …


2

„Der aufsehenerregendste Prozess des Jahres findet heute seinen mit Spannung erwarteten Auftakt. Denn vor Gericht steht niemand Geringere als Easis, die Tochter des geistigen Führers Tahrenos!“ Der Free-World-News Journalist lächelte sensationslüstern in die Kamera. Sein fast schon surreal schönes Gesicht wurde in über drei Milliarden Haushalte weltweit übertragen. „Nicht zufällig wurde der größte Lichttempel der Welt als Schauplatz für die Verhandlung gewählt. Denn von den Stufen des altehrwürdigen Gebäudes wurde die Zentralrepublik des Lichts ausgerufen. Seit Stunden warten unzählige Schaulustige am ‚Platz des ewigen Friedens’ auf den Prozessbeginn. Denn heute ist nicht nur der Tag an dem Easis volljährig wird und ihren Partner für die Paarung zugewiesen bekommt – nein, heute wird sie auch für alle Freveltaten bestraft werden, die sie kurz vor ihrem neunzehnten Geburtstag begangen hat. Für die Provokationen, die gerade für ein Mädchen ihres Standes unverzeihlich sind.“ Der Journalist nickte besonders entschlossen und mitleidlos. „Das Urteil wird richtungsweisend sein. Schon seit mehreren Jahren setzt sich der geistige Führer Tahrenos für eine Aufweichung der strengen Gesetze für die Partnerwahl ein. Nach dem tragischen Unfall seiner Frau hatte er immer wieder versucht, den Hohen Rat von einer Richtungsänderung zu überzeugen. Von seiner Tochter unterstützt! Doch wie werden die sechs Mitglieder des Hohen Rates entscheiden? Die ganze Welt blickt in diesen Sekunden gebannt in das Herz der Republik. Denn heute wird nicht weniger als über das Leben einer jungen Frau entschieden – über das Leben von Easis Tahrenos, über die Zukunft der Tochter des geistigen Führers der Zentralrepublik des Lichts.“

Die Kamera schwenkte über den Platz, in der Hoffnung einen ersten Blick auf die Angeklagte zu erhaschen. Von überall drängten die Schaulustigen näher, um ja nicht zu verpassen, wenn Easis eintraf. Unter ihnen viele Fans, glühende Verehrer und vielleicht sogar der eine oder andere heimliche Individualist. Denn Easis war nicht irgendwer. Sie war die Frau, die zu den zehn bekanntesten Promis des Kontinents gehörte. Wenn sie etwas anpackte, dann hatte das Einfluss – denn sie war das It-Girl, das alle berichtenswerten Trends startete. Alle Frauen wollten so sein wie sie. Und alle Männer, ob gepaart oder nicht, wollten sie besitzen.

„Wo bleibt sie?“, rief jemand und schwenkte wie andere ein Transparent mit der Aufschrift „Lasst Ea frei!“. Ein halbes Dutzend Wachen ging in die Menge und zwang allesamt, die Transparente zu entfernen.

Der höchste Rat hatte dieses Sondergericht einberufen. Die Brisanz des Falles Easis Tahrenos schlug bereits zu hohe Wellen, um den Prozess den normalen Gerichten zu überantworten. Nur ausgewählte ausländische Medien waren zugelassen worden, um über die Verhandlung zu berichten. Die Regierung hatte die Internetforen vorsorglich sperren lassen und die, die noch zugänglich waren, wurden streng von der Cyberabteilung des Wächterrats kontrolliert.

Unverhofft glitt der weiß lackierte Gefangenentransporter über die glitzernde Oberfläche des Platzes. Die Türen öffneten sich und die Menge hielt den Atem an. Easis erschien aus dem Dunkel. Sicher berührten ihre glänzend schwarzen High Heels den Boden inmitten eines beidseitigen Spaliers von weiß uniformierten Wächtern. Einer der Männer reichte ihr die Hand und würdevoll wie eine Prinzessin trat sie ins Sonnenlicht. Ihr hüftlanges, blondes Haar wurde vom Wind verweht. Es glitzerte und kontrastierte mit dem opalisierenden Schwarz ihres Designerkleides. Die Menge tuschelte bewundernd und ein jeder war sich einig, dass das ihre natürliche Haarfarbe war.

Easis winkte glamourös in die Menge, zupfte ihr Kleid an ihrem Po zurecht und folgte den Uniformierten die Stufen hinauf in das Gotteshaus. Wie eine ätherische Lichtgestalt. Auf den Tag genau neunzehn Jahre alt. Mit dem Körper eines unsterblichen Engels und dem Gang eines frechen Teufelchens. So schwebte sie nach oben. Lächelnd. Mit großen, blauen Augen. Mit entrücktem, amüsiertem Blick. Als könnte sie nicht glauben, dass ihr das passierte. Als würde sich alles nur um einen dummen Irrtum handeln, der sich binnen Minuten aufklären lassen würde. Deutlich waren ihre schmalen Schenkel und ihre Knie zu erkennen. Zahllose Männeraugen waren auf ihre hin- und her pendelnden Hüften fixiert und auf den leichten Schwung ihrer üppigen Brüste, bis sie endlich im Inneren der mächtigen Mauern verschwand.

Ein enttäuschtes Raunen ging durch die Menge …