Die Kemerelle Saga: Im Land der schwarzen Engel


Im Land der schwarzen Engel -


Hauptmann Ferr

Du verletzt immer die, die du liebst …

Diese Stimmen … Diese unsäglichen Stimmen …

Wann würden sie endlich verstummen?!

Ferr blinzelte in die blendende Helligkeit. Strahlendes Weiß. Grelles Grün. Gleißende Hitze. Ein bestialischer Gestank … Sein Kopf pochte. Die Schläfen hämmerten wie eintausend milareinische Legionstrommeln. Und der Geschmack im Mund … salzig … sandig … eingetrockneter Speichel …

Es war unerträglich heiß.

Eine Beißmuschel stakste gemächlich auf ihren drei dürren Beinen über den feinen, fahlgelben Sand. Sie hielt eine zerfetzte Hand in ihrem Maul. Die linke Hand eines Mannes.

Und dieses Geräusch.

Mit ohrenbetäubender Stetigkeit brandeten die Wellen des Ozeans über das Riff an den Strand. Gegen seinen Körper.

„Was bei Soleters Arsch …“ Allein der Versuch, den Kopf zu heben, ließ jeden Muskel in seinem Körper protestieren. Knurrend hob er den Oberkörper an. Die Rüstung klebte wie Blei an ihm. Unerbittlich strahlten die Sonnen vom geradezu surreal blauen Himmel. Dabei war es erst früher Morgen. Keine einzige Wolke war zu sehen.

„Hauptmann?! Hauptmann Ferr!!“

„Hier drüben, Fähnrich.“ Ferr wandte den Kopf. Trümmerstücke und Wrackteile übersäten den gottverlassenen Strand. Was von dem schwarzen Trimaran, der mächtigen „Schattenbestie“, übriggeblieben war, fand sich überall die sandige Einöde hinunter wieder. Er griff zu seiner Wasserflasche. Sie war nicht mehr da.

Verdammt.

Fähnrich Korei kam herangekrochen. Trotz der Anstrengung, die sein sommersprossiges Gesicht zu einer Grimasse verzerrte, wirkte sein geschwungener Mund stets, als würde er gleich fröhlich zu lachen beginnen. Die Rüstung des Fähnrichs sah mitgenommen aus. Ferr presste die Lippen zusammen. Genau wie seine eigene auch.

„Was ist passiert?“ Korei nahm den Helm ab und starrte auf das endlose Wasser hinaus. Sein rotblondes Haar klebte auf seiner Stirn.

„Ein Riff ist passiert …“ Ferr sah zum Himmel hinauf. Gestern Nacht … Die Mondsicheln waren schwer zwischen den Sternen gehangen. Das heißt, wenn sie überhaupt einmal in der stockdunklen Düsternis zu sehen gewesen waren. Und dazu dieser Sturm. „Das Steuerruder hat sich verabschiedet und der nächste Brecher gab dem Schiff den Rest.“ Unnötig zu erwähnen, dass wahrscheinlich die gesamte Hundertschaft ertrunken war. Keine dreihundert Schritte von hier. Die meisten der Männer hatten sich zur Zeit des Unglücks unter Deck befunden und sich die Seele aus dem Leib gekotzt.

Koreis Mundwinkel zogen sich weinerlich nach unten.

„Wo ist der Bootsführer, Fähnrich? Der Rest der Mannschaft?“

„Ich … Ich weiß nicht.“ Korei zuckte mit den Achseln.

„Tailer, Endi, Bret?“

Korei schüttelte den Kopf. Er zitterte. Die Augen glänzten fiebrig.

Verflucht! Der arme Junge hatte sich angesteckt. Ein verdammter Fluch lastete auf diesem Land!

Ferr seufzte und quälte sich hoch. Dieser verwünschte Sand klebte wie zähflüssige Schnaub-Schnaub-Scheiße an ihm.

Ein Legionär lag hinter einem Wrackteil im knöchelhohen Wasser. Gesicht nach oben. Geblendet von den Sonnen griff Ferr nach seinem Arm.

„Los! Holen wir ihn raus.“

Er war seltsam leicht. Trotz der Rüstung. Und …

Korei schrie auf. Schrie, wie kein Mann schreien sollte! Ferr wirbelte herum.

Von dem Mann war nur noch der Oberkörper vorhanden. Klein Blut. Keine Gedärme. Nur ein leerer Brustkorb.

Korei ließ den Legionär fallen, als hätte er sich an ihm verbrannt. Wankte kreidebleich.

„Was bei Soleter!!!“

„Soleter richtet so etwas nicht an“, presste Ferr hervor. „Seine Monster dagegen schon.“

„Heißt das etwa …“

Der Mann sah aus, als wäre er mitten durchgebissen worden. Den Rest hatten die Schwimmschnapper erledigt.

„Hauptmann!! Leutnant Tailer!!! Wo seid Ihr??“

„Hier drüben!“ Korei wirkte erleichtert, woanders hinsehen zu können. Vier Männer kamen den Strand heruntergeschlurft. Aus südlicher Richtung. Ferr blinzelte. Männer des Spähzugs. Truppführer Schean und die Legionäre Rob, Zek und Tsched.

„Sind das alle?“, rief Ferr.

„Alle, die ich bis jetzt finden konnte, Herr“, nickte Schean erschöpft. „Aber wir hatten noch keine Zeit, einen Suchtrupp zu bilden.“

Ferr sah sich um. Das konnte doch gar nicht sein! Wo waren die ganzen Seeleute?


* * *

Die Wellen spülten noch drei Tote und mehr Wrackteile heran. Einer von ihnen, Legionär Frenk, schaffte es noch, ihnen in die Augen zu sehen, bevor er starb. Doch sonst war niemand zu entdecken. Mit ziemlicher Sicherheit hatte das Meer sie geholt. Und das Meer gab seine Toten nur ungern wieder her.

Tsched und Zek suchten den Strand nach weiteren Überlebenden ab. Korei, Rob und Schean nahmen inzwischen die Bestattung der Leichen nach maleyanischem Brauch vor.

Ferr fühlte, dass es angebracht gewesen wäre, ein paar Worte zu sagen. Doch das Unwetter hatte bereits alles Wichtige zu den Ereignissen der letzten Nacht gesagt und einen Schlussstrich gezogen.

Ein für alle Mal.

Also sparte er sich den Atem.

„Seht, wen ich hinter der Landzunge auf einer Sandbank gefunden habe.“ Tsched nickte grinsend über die Schulter.

Ferr hob den Blick und sah in Unteroffizier Kregs kalte, hasserfüllte Augen. Der große Halbblut-Legionär mit deutlichem Anjou-Einschlag rümpfte die Hakennase und grunzte unwirsch. Sein Mund wurde dabei gefährlich schmal.

Gut zu wissen, dass sich nicht das Geringste zwischen ihnen geändert hatte. Daran hatte auch der verdammte Sturm nichts zum Besseren wenden können.

„Unteroffizier.“

„Hauptmann.“

Die Männer wechselten nervös von einem Bein aufs andere. Ihnen entging die Anspannung nicht.

Sieben Mann, überlegte Ferr. War das alles, was von der „Dritten Hundertschaft“ übrig geblieben war? Sieben Mann?! Jeder Einzelne sah erschöpft und mitgenommen aus, war aber ansonsten hervorragend in Form. Wie es sich für maleyanische Legionssoldaten gehörte. Mit Ausnahme von Fähnrich Korei waren sie alle Halbblütler mit den verschiedensten Vorfahren. Der Jomdah-Einschlag war bei Truppführer Schean und Legionär Rob ebenso unverkennbar wie der Kumaa-Einschlag bei Legionär Tsched. Zek hatte reichlich anderes Blut in seinen Adern. Und Kreg … Er war Kreg. Einer, auf den er mit Freuden verzichtet hätte. Nur zu gern hätte er ihn und seine angeborene Aufsässigkeit gegen die analytische Raffinesse von Leutnant Tailer eingetauscht. Ohne zu zögern.

„Wo sind wir hier, Hauptmann?“, durchbrach Truppführer Schean das unangenehme Schweigen.

„Auf halben Weg nach Sjulkana … Zumindest waren wir das bis gestern noch.“ Er kickte ein Wrackteil zur Seite und zeichnete mit einem Ast eine grobe Skizze von Kumaa in den weichen Sand. Weit im Norden lagen Kumala und die „Bucht der Sklaven“. Im Südwesten Sjulkana, der „blühende Garten“ im „Land des hüfthohen Wassers“. Und dazwischen gähnte ein großes, weites Nichts.

„Dann sind wir in Südkumaa, nicht wahr? Nördlich der Anjou-Länder.“ Fähnrich Korei nickte hoffnungsvoll. „Sie werden uns doch sicher finden, oder?“

„Die Schifffahrtsrouten liegen sehr weit draußen.“ Ferr hielt mitten im Kopfschütteln inne. Doch dafür war es bereits zu spät.

„Aber wenn wir ein Feuer machen, werden sie es doch sehen, oder?“ Korei ließ nicht locker.

„Darauf würde ich nicht wetten“, dämpfte er alle Hoffnungen.

„Aber … Der göttliche Kaiser lässt nie einen Mann zurück …“ Korei brach ab und sah in die Runde. „Ich meine …“

„Was der Hauptmann sagen will, Kleiner, ist – wir sind hier am Arsch der Welt. Das hier ist unerforschtes Gebiet. Niemand wird uns finden, weil sie uns nämlich gar nicht suchen.“ Unteroffizier Kreg grinste hässlich. „Ein Hoch auf die maleyanische Legion! Und ein spezielles Hoch auf die Siebente.“

„Sind wir dann fertig?!“ Ferr sah Kreg an.

„Ich würde sagen, wir sind sogar fix und fertig, Herr Hauptmann“, kam Kreg in Fahrt. „Wir sind nämlich im Arsch und …“

„Seht mal!! Da drüben!!!“, brüllte Schean und zeigte aufs Wasser hinaus.

Drei Männer klammerten sich draußen jenseits des Riffs an ein Wrackteil der „Schattenbestie“ und riefen so laut sie konnten herüber.

„Das ist Leutnant Tailer!“, freute sich Rob.

„Die Brandung wird sie am Riff zerschmettern!“ Zek fasste sich an den Kopf.

„Da stimmt doch was nicht“, warnte Tsched. „Mit dem Wasser, meine ich. Da hinten!“

„Na los!! Kommt schon!!!“, brüllte Korei.

„Milaren hilf“, kroch es Ferr über die Lippen.

Das tiefblaue Meerwasser kräuselte sich. Wallte und brodelte. Bildete Strudel. Zwei. Drei. Vier … Hinter dem Riff. Eine riesige Welle erfasste das Wrackteil mitsamt den Männern und trug es gegen die scharfkantigen Unterwasserfelsen.

Tailer und die Männer riefen etwas Unverständliches. Sahen über ihre Schultern nach hinten. Ihre Gesichter erbleichten. Die Augen weiteten sich in Panik.

„Ozeankiller!!!“

Mit einem Donnern stieß der schwarzgraue Schatten über die Wellen. Groß wie die gesunkene „Schattenbestie“. Schraubte sich immer höher. Und das Maul …

Mannslange Zähne schnellten vor. Erfassten das Wrackteil und alle, die sich darauf befanden.

Die Schreie aus den vier Männerkehlen klangen so verzweifelt, dass es Ferr die Nackenhaare aufstellte.

Der mächtige Körper rollte um die Längsachse und knallte donnernd auf die Wasseroberfläche zurück.

Eine Flutwelle jagte über das Riff und den Strand herauf. Bis hinter die Büsche des Dschungels.

„Das war’s dann wohl“, murmelte Kreg und wandte sich ab.

Die grässlichen Laute von Leutnant Tailer und seinen Männern verstummten für immer …


* * *

Sieben Überlebende.

Über hundert Männer tot – was für eine Verschwendung! Der ganze Strand roch nach Tod und Verzweiflung. Und in welche Richtung sie auch gingen – ob nun nach Norden oder nach Süden – es würde ein nie endenwollender Marsch zwischen dem unendlich weiten Meer auf der einen Seite und dem undurchdringlichen Dschungel auf der anderen werden. Wofür sie sich auch entschieden, ob nun für Kumala oder durch das „Land des hüfthohen Wassers“ nach Sjulkana – es war ein Weg gepflastert mit Gefahren. Und Ferr … Er wollte nichts mehr erklären. Nicht mehr reden. Niemandem mehr sagen, was er zu tun hatte. Die Männer mussten es selbst wissen. Und sie taten es in den meisten Fällen auch.

Ein kurzer Regenschauer ergoss sein Wasser in die Helme der Männer. Aber zu wenig, um sie alle durch den Tag zu bringen. Selbst wenn sie jeden noch so cleveren Trick mit Blättern und Halmen nutzten, um möglichst viel Wasser aufzufangen.

Schwierig, im Augenblick aufmunternde Worte zu finden. Er hielt nichts von falschen Hoffnungen …

„Hauptmann!!! Kems!!!“, rief Zek schon von Weitem. Er kam im vollen Laufschritt den Strand nach Norden herunter.

Ferr fuhr hoch. Immer, wenn man dachte, es könnte nicht noch schlimmer kommen.

„Wie viele? Wie viel Zeit haben wir?“

Zek versuchte, zu Atem zu gelangen. Seine Wangen glänzten rot. Ein verdächtig weißes Dreieck schimmerte matt um seine Mundwinkel. „Mindestens hundert. Sie sind mit Speeren und Schilden bewaffnet. Noch trauen sie sich nicht an den Strand. Aber wenn sie uns entdecken, dann …“

„Haben sie dich gesehen?“, knurrte Kreg.

„Mit unseren Rüstungen sind wir ja nicht zu übersehen, aber ich war vorsichtig. Sie kamen an eine Lichtung drüben auf einem der Hügel eine halbe Meile entfernt. Offenbar lagern sie dort immer.“

„Dass du wie ein Verrückter rumschreist, hat aber sicher auch nicht geholfen“, setzte Kreg nach.

„Ruhe jetzt!“ Ferr zeichnete mit dem Ast die Karte im Sand nach und markierte ihre Position mit einem X. „Gut … Hört her. Nach Kumala zu gehen, halte ich für falsch. Erstens laufen wir dann den Kumaa genau in die Arme.“ Er deutete in Richtung Hügel. „Außerdem wird das Gelände südlich der Stadt felsig, unwegsam und sumpfig und das für wer weiß wie viele Meilen. Meiner Einschätzung nach ist es auch der längere Weg … In Richtung Süden wissen wir es zwar nicht ganz genau, aber es gibt nahe dem ‚Land des hüfthohen Wassers’ Handelsstützpunkte. Es muss sie geben.“ Ferr strich sich über das schweißnasse Mal der Auserwählten an seiner Stirn. „Ich weiß, dass es sie geben muss. Sjulkana ist vielleicht unsere östlichste Stadt in Jomdah, aber Handel treiben wir auch mit den Anjous. Wenn wir es bis dorthin schaffen, sind wir in Sicherheit. Gerettet.“

„Wie viele Meilen?“, wollte Truppführer Schean wissen.

Ferr überlegte. „Hundertfünfzig … Vielleicht mehr.“

Die Männer stießen die Luft aus.

„Hundertfünfzig Meilen???“, rief Rob außer sich.

„Das sind zehn Tage Fußmarsch. Aber nur im besten Fall.“ Tsched runzelte vielsagend seine schwarze Stirn und kratzte sich hinter dem Ohr.

„Und wenn wir das Fieber kriegen?“, brachte Zek atemlos hervor. „Das Hauptquartier wollte uns doch nach Sjulkana verlegen, damit wir eben nicht das Fieber abfangen.“

Ferr sah nach draußen, wo die „Schattenbestie“ irgendwo hinter dem Riff am Grund des Meeres lag. „Hat sich wohl erledigt.“

„Wir schaffen das schon“, nickte Fähnrich Korei kämpferisch. Das Zittern um seine Mundwinkel strafte seinen Mut der Verzweiflung Lügen.

„Aber hundertfünfzig Meilen …“, schluckte Rob und fasste sich ans Doppelkinn.

„Vom Reden wird die Strecke nicht kürzer. Ich würde sagen, wir machen uns auf den Weg. Ein Mann schaut immer hinaus aufs Meer. Vielleicht haben wir ja Glück und können ein Schiff auf uns aufmerksam machen.“

„Und … wenn nicht?“ Fähnrich Korei kaute nervös auf seiner Unterlippe.

„Dann gibt es kein Schiff, auf dem wir mitfahren können. So einfach ist das“, grinste Truppführer Schean.

„Eine Sache noch“, begann Unteroffizier Kreg. „Unsere Rüstungen. Sollen wir die bei der Affenhitze wirklich mit uns rumtragen?“

Ferr entging nicht der aufsässige Unterton.

Nach den letzten sechs Monaten in Nord-Kumaa waren sie alle urlaubsreif. Doch Heimaturlaub war gerade in weite Ferne gerückt. Und die unsägliche Hitze machte es nicht besser.

„Noch gehören wir der maleyanischen Legion an, oder?“, hörte er sich sagen. „Also tragen wir auch unsere Rüstungen. Bis wir tot sind, klar? Aber keine Sorge, ich werde während des Marschierens nicht auch noch verlangen, dass ihr jeden einzelnen Punkt der Dienstvorschrift zitiert.“

„Wirklich zu gütig, Hauptmann“, schnarchte Kreg.

„Das heißt ‚Herr Hauptmann’!“ Ferr sah ihm tief in die Augen. „Kreg, ich konnte deinen Typ noch nie leiden. Ein Verweis von Leutnant Bret reicht dir wohl noch nicht?!“

„Leutnant Bret war ein Arsch!“

„Gib mir keinen Grund, dich einfach hier zurückzulassen“, knurrte Ferr. „Mein einziger Wunsch ist, alle lebend nach Hause durchzubringen, klar?! Und wenn du mir dabei nicht hilfst …“

Es wurde so still am Strand, dass sogar die Wellen wie rollender Donner klangen. Alle lebend nach Hause zu bringen – daran war er wohl kläglich gescheitert. Über neunzig von den Jungs würden nie wieder nach Hause zurückzukehren.

„Allein hätte ich wahrscheinlich sogar größere Chancen“, grinste Kreg kalt. Seine Hand spielte nervös mit dem Griff seines Schwerts.

„Größere Chancen, Sjulkana zu erreichen?“, schluckte Fähnrich Korei.

„Größere Chancen, zu überleben!“


Truppführer Schean

Fähnrich Korei würde bei diesem Marsch sicher ins Gras beißen. Der Junge war ein Schriftgelehrter und viel zu weich für die Armee. Das stand fest. Er erstarrte jedes Mal im Kampf. Außerdem bekam er gerade das Fieber. So etwas hatte er bereits öfter gesehen.

Bessere Chancen räumte er schon Rob und Zek ein. „Doppelkinn“-Rob jammerte zwar viel, war ein hundsmiserabler Würfelspieler, wusste aber, wann man sich rechtzeitig verdrückte. Und der „stets schlecht frisierte“ Zek hasste die Kumaa allein schon wegen ihrer dunklen Hautfarbe. Er machte keine Gefangenen.

Der „schwarze“ Tsched war wieder eine ganz andere Klasse. Seine Mutter war eine Kumaa, er verstand die Eigenheiten seiner Feinde wie kein anderer und er gehörte hierher. In dieses Land. Er sah Dinge, die ihnen allen entgingen. Und auf einer Spähmission im tiefen Dschungel war er der Mann, den man mit Sicherheit dabei haben wollte.

Tja und dann waren da noch Hauptmann Ferr und Unteroffizier Kreg.

Ferr war von Kindesbeinen an in militärischen Dingen geschult und stammte von Unsterblichen ab. Sein Blick war immer auf den Horizont gerichtet.

Kreg dagegen hatte drei Einsätze in Kumaa hinter sich. Jede verdammte Narbe an seinem Körper war ehrlich verdient. Er war der Typ, mit dem man sich besser nicht anlegte und lieber zu seinem Freund machte.

Ein Kampf zwischen ihm und dem Hauptmann wäre sicherlich interessant zu beobachten gewesen. Denn den Hauptmann durfte man im Schwertkampf nicht unterschätzen. Er war technisch perfekt, aber was den Siegeswillen betraf, verließ er sich lieber auf taktische Überlegungen als auf grobe Kraft. Kreg andererseits hatte eine schier übermenschliche Wut in seinem Bauch, die ihn befähigte, bis ans andere Ende der Welt zu marschieren, wenn es sein musste. Bei einem Einsatz hatte er selbst gesehen, wie dieser innerhalb von drei Herzschlägen fünf Wilde aus dem Dschungel getötet hatte. Er hatte dabei ausgesehen wie ein Dämon der Hölle …

Ein endloser Strand erstreckte sich vor ihnen. Ein Weg, der einfach kein Ende nehmen wollte. Und schon jetzt war alles eine einzige Qual. Wie sollten sie das noch weitere zehn Tage durchhalten?! Ein widerlicher, salziger Fischgeruch lag über allem.

„Schean, nach hinten! Ich übernehme die nächste Stunde die Führung“, löste Hauptmann Ferr ihn ab.

Schean nickte.

„Ja, Herr.“

Er ließ den Trupp an sich vorbeiziehen und gliederte sich zwischen Rob und Tsched wieder ein, der die Nachhut bildete und immer wieder nach hinten spähte.

„Dabei hieß es dauernd, die Sieben wäre eine Glückszahl“, jammerte Rob. Er liebte es, in Selbstmitleid zu schwelgen und jedem davon zu erzählen. Er hatte sein jomdahnisches Basarjammern zu einer regelrechten Kunstform erhoben. Im Gegensatz zu ihm hätte der Hauptmann sich lieber die Zunge abgebissen, als über seinen inneren Schmerz auch nur ein Wort zu verlieren.

„Ja, Bruder … und schon ewig keine Frau mehr am Schwanz gehabt“, maulte Tsched und zeigte seine strahlend weißen Zähne. Frauen … Frauen hatten bei ihm nichts zu lachen. Denn er fragte nicht. Er nahm sich – aber auf eine Art, die den meisten Frauen nicht gefiel. Er liebte nicht – er benutzte.

„Wäre ich jetzt zuhause, würde ich ein langes Bad nehmen“, stöhnte Rob wehleidig. „Ja, das wäre das Erste, was ich tun würde … Und so viel essen, dass die Hose nicht mehr zugeht.“

„Deine Fresssucht ist noch einmal dein Tod, Bruder“, hänselte Tsched ihn.

„Hey Jungs“, lachte Schean spöttisch. „Wäre ich doch nur an der Spitze der Gruppe geblieben, dann müsste ich mir euer Gesuder nicht anhören.“

„Gesuder?! Verschon uns gefälligst mit deinem Jomdahnisch“, ätzte Zek.

„Es ist Milareinisch, klar?“ Diese Jungs! Riskierten ja nur deswegen leichtfertig eine dicke Lippe, weil sie nie seinem Trupp zugeteilt gewesen waren. Aus seinem Trupp hatte kein Einziger den Sturm überlebt. Er sah noch ihre Gesichter vor sich …

Krachen, Schreie, berstendes Holz, Blut …

Was soll’s!!

Wir sind von der ‚Siebten Legion’ – die ‚Siebente’ ist meine Religion!

„Heute ist Vatertag“, zwang er sich zu einem Lächeln. „Ich frage mich …“

„Hättest ihn halt früher rausziehen sollen“, lachte Kreg kopfschüttelnd. „Hätte der Welt viel Jammer erspart.“

Tsched wieherte auf und Zek lachte noch lauter. Er klatschte in Kregs erhobene Hand ein.

Schean presste die Lippen zusammen. Kein Wunder, dass der Hauptmann als Erster gehen wollte. Diese Dummschwätzerei war ja nicht auszuhalten. Er hätte zu gern mit ihm getauscht.

„Wäre ich doch nur zur ‚Ersten Legion’ gegangen anstatt zur ‚Siebenten’“, jammerte Rob herzerweichend. „Ich könnte jetzt richtig gepflegt Dienst in der Heimat schieben und jeden Abend pünktlich zum Abendessen zu Hause sein.“

„Schweine wie uns lassen sie in die ‚Erste’ nicht rein. Dafür sind wir nicht fein genug“, grinste Kreg kalt. „Da kommen nur die Hochwohlgeborenen unter. So wie unser Hauptmann ‚Mal auf der Stirn’.“

„Er sitzt in derselben Scheiße wie wir“, schüttelte Schean den Kopf. „Er hat immer auch das gemacht, was wir machen. Beim Grabenausheben, beim Palisadenbau, bei den Aufklärungstrupps.“

„Tja, aber wenn er hier rauskommt, gibt es für ihn im Kaiserpalast ein kleines Festessen, wo seine Rückkehr gefeiert wird. Während wir einfachen Grunzer lediglich ein ‚Wo wart ihr Ärsche so lange?’ zu hören bekommen. Kein ‚Wir sind froh, dass du wieder da bist’. Kein ‚Du bist ein Held, alter Junge’. Oh nein! Für uns wird es heißen ‚Endlich kreuzt du auf – denn wir brauchen noch einen Soldaten vom Tag. Nimm dir mal fürs Wochenende besser nichts vor’.“

„Du bist ja verrückt“, rutschte es Schean raus.

„Der Mann bringt uns noch ins Grab“, spuckte Kreg. „’Die Rechtschaffenen’ … ‚Die Unbeugsamen’ … ‚Die Zielstrebigen’ … ‚Durch Zusammenhalt zu den Himmeln’!! Hat sich was mit HIMMELN! Auf den Friedhof bringt der uns mit seiner verfluchten Selbstgerechtigkeit!!“

Es folgte ein betretenes Schweigen.

„Hey, habt ihr eigentlich das von der ‚Neunten Legion’ mitbekommen?“, warf Rob ein. „Kurz vor der Abfahrt habe ich den General mit seinem Adjutanten reden gehört. Die ‚Neunte’ ist in West-Jomdah völlig aufgerieben worden. Nicht ein Mann soll überlebt haben. Ihre Leichen wurden nie gefunden.“

„Wie … Wie soll das möglich sein?!“, schluckte Fähnrich Korei. „Eine ganze Legion kann doch nicht einfach … verschwinden.“

„Schwupp – weg waren sie. Der Dschungel hat sie geholt. An einem einzigen Tag.“ Schean schnitt eine teuflische Grimasse. Koreis bleiches Gesicht war zum Schreien.

„Wenn wir so weitermachen, holt uns der Dschungel auch“, brummte Kreg düster. „Wir können von Glück reden, dass die Kumaa sich nicht an den Strand trauen. Denn wenn sie es tun, dann heißt es für UNS ‚schwupp – weg waren sie’ …“

„Verflucht! Wir könnten zuhause sein!!“, jammerte Rob. „In einem Meer von willigen Muschis und Titten ertrinken!“

„Geil, Bruder“, murmelte Tsched lüstern.

„Steppengeistfilet in Soße und gefüllte Teigtaschen“, schwärmte Rob. „Meeresfrüchte auf Merlisade Art … Beißmuscheln mit …“

„Haltet endlich mal die Fresse da hinten!!“, brüllte der Hauptmann und alle verstummten.

Die Sonnen glühten erbarmungslos vom Himmel, während ihre Stiefel die endlosen Meilen voller brennend heißen Sand fraßen …